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Träume, Ziele, Erfolge, aber auch Krisen und Rückschläge sind ihr Begleiter, es dreht sich um Motivation. Jeder Sportler kennt beiden Seiten ihrer Medaille. „Meistens belehrt erst der Verlust uns über den Wert der Dinge.“, sagte einst Arthur Schopenhauer. Nun ist der deutsche Philosoph nicht unbedingt als großer Optimist, geschweige denn als Sportler aufgefallen, doch seine Aussage ist gerade in diesen Zeiten aktueller denn je. Corona war und ist eine Zäsur. Ein Einschnitt, der alle betrifft und der in viele Winkel des öffentlichen und privaten Lebens eindringt. Dazu gehört natürlich auch der Sport, insbesondere Mannschafts- und Gemeinschaftssportarten. Absagen von Wettkämpfen, Veranstaltungen und Events, gerade zu einer Zeit im Jahr, in der die Saison eigentlich hätte losgehen sollen.
Das kann Sportler, Sportfans und Veranstalter schnell zweifeln lassen. Der plötzliche Verlust und die bleibende Unsicherheit, wann und wie es weitergeht, ist erst einmal schwer zu verarbeiten. Doch die Erkenntnis um den Wert für sich und Andere kann die Motivation wieder entflammen.
Was ist Motivation?
Doch vorne angefangen: In Lehrbüchern der Psychologie wird Motivation folgendermaßen definiert: „[Es ist] der allgemeine Begriff für alle Prozesse, die der Initiierung, der Richtungsgebung und der Aufrechterhaltung physischer und psychischer Aktivitäten dienen“ (Zimbardo P.G. (1978) Motivation und Emotion. In: Angermeier W.F., Brengelmann J.C., Thiekötter T.J. (eds) Lehrbuch der Psychologie. Springer, Berlin, Heidelberg) Motivation ist ein Prozess, der überhaupt erst initiiert, steuert und in konkreten Handlungen mündet. Motivation entsteht nicht einfach aus dem Nichts. Zuerst stehen dort ein Motiv, ein Beweggrund und ein situativer Kontext, passen beide zusammen entsteht Motivation und damit Handlung. Motiv und Motivation werden im alltäglichen Sprachgebrauch meist äquivalent verwendet, doch das Motiv alleine führt noch nicht zu Motivation. Die Situation und Gegebenheiten drumherum müssen stimmen. Lautet mein Motiv ‚Radfahren‘, doch das Rad ist gerade mit einem Defekt in der Werkstatt, passen Motiv und situativer Kontext nicht zusammen und zur Handlung ‚Radfahren‘ wird es nicht kommen können.
Intrinsische und extrinsische Motivation
Man unterscheidet in der Wissenschaft zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation. Also der Eigenmotivation und Motivation, die von äußeren Faktoren bestimmt werden. Sportler bringen oft eine hohe intrinsische Motivation mit. Der Sport ist ein persönliches Interesse, macht Freude und erfüllt. In diesen Fällen dient er der Erfüllung psychologischer Grundbedürfnisse und ist ein Ausdruck von Selbstbestimmung und Kompetenz. Ein Beispiel für intrinsische Motivation wäre ein Radsportler, der sich das selbstgewählte Ziel steckt, 300 Kilometer an einem Tag auf dem Rad zu absolvieren. Schafft er es letztendlich, ist nicht nur das Erreichen eine persönliche Erfüllung, sondern auch der Trainingsweg dorthin.
Bei extrinsischer Motivation ist die Sache anders. Hier können bestimmte Aussichten auf Belohnung oder sogar Bestrafung Triebfedern sein. Genauso wie das Streben einem bestimmten gesellschaftlichen oder sportlichen Ideal zu entsprechen. Es sind also Erwartungen oder (Rollen-) Bilder von außen, die bestimmte Ziele vorgeben. Ganz banal kann das der ärztliche Rat sein, doch mehr (Rad-)Sport zu treiben, um abzunehmen. Die Hauptmotivation sportlich aktiv zu sein und Rad zu fahren kann sowohl intrinsisch als auch extrinsisch motiviert sein und sich gar wandeln. Ein junger Sportler unterschreibt einen Profivertrag, auf einmal wird aus dem Sport, der vor allem aus Spaß betrieben wurde, ein Beruf, eine Verpflichtung Anderen gegenüber und eine Möglichkeit an Ruhm und Lohn zu kommen. Die persönliche Wichtigkeit kann durch Erwartung Anderer und die Aussicht auf Belohnung verdrängt werden. Genauso andersherum, der Athlet, der nur wegen drohenden Übergewichts und auf ärztliches Drängen mit dem Sport angefangen hat, findet Freude und Erfüllung damit und steigt nunmehr freiwillig und gerne aufs Rad. Das vormals extrinsisch motivierte Ziel des Abnehmens ist zum Nebeneffekt geworden und wurde durch die persönliche Erfüllung und Freude ersetzt.
An der abstrakten Definition aus dem Lehrbuch der Psychologie und dem Wechselspiel von intrinsischen und extrinsischen Faktoren ist schon zu merken, dass Motivation schwer greifbar ist. Doch sie lässt sich konkret in Form von Zielen übersetzen und ausdrücken.
Ziele
Hört man Spitzensportlern in Interviews zu, ist eine typische Aussage: „Es war schon seit meiner Kindheit mein Traum dieses Rennen zu fahren und zu gewinnen. Ich habe hart dafür gearbeitet, um an diesen Punkt zu kommen, aber ich habe dieses Ziel nie aus den Augen verloren.“ Aus einem Traum wird ein Motiv, der situative Kontext wie Talent und Förderung tragen dazu bei, dass ein Sportler und sein Umfeld merken, der Erfolg bei einem bestimmten Rennen, kann ein realistisches Ziel werden. Nach diesem Ziel wird jede Handlung ausgerichtet und hinterfragt.
Jeder Mensch ist in der Lage sich Ziele zu setzen, einfache oder auch sehr abstrakte Meilensteine. Sie sind sowohl kurzfristig bis hin zu langfristig gedacht und gerade letztgenannte ändern sich im Laufe eines Lebens. Die Motivation trägt als emotionales und neuronales Streben dazu bei, dass wir überhaupt erst Handlungen initiieren, mit denen wir Ziele erreichen wollen. Das tatsächliche Erreichen mag nicht immer gelingen, doch ohne Motivation und Handlung ist das Unterfangen zum Scheitern verurteilt.
Motivation ist abstrakt, doch Ziele können einen klaren Fokus setzen. Das Erreichen von Zielen ist mitunter eindeutig mess- und überprüfbar. Im Projektmanagement gibt es eine Methode zur Definition von Zielen. Die sogenannte ‚SMART – Zielsetzung‘. Demnach sollten Ziele Erstens spezifisch sein, also die berühmten W-Fragen beantworten. Zweitens müssen sie messbar sein, sowie drittens attraktiv/ambitioniert gewählt sein, also nicht außer Reichweite, aber auch nicht zu leicht gewählt werden. Viertens müssen sie den Kompetenzen und Rahmenbedingungen nach realistisch und fünftens mit einem klaren Ende terminiert sein. Diese Methode lässt sich problemlos auch auf sportliche Zielsetzung übertragen, gerade dann, wenn es einem schwer fällt, sich selbst Ziele aufzuerlegen.
Ziele können ganz unterschiedlicher Natur sein und auf bestimmte Bereiche ‚abzielen‘. Ergebnisziele geben zum Beispiel im Wettkampf eine bestimmte Platzierung, Zeit oder Punktzahl vor. Sie sind damit immer abhängig von anderen Sportlern und den Wettkampfbedingungen. Ihr Erreichen erfordert im Spitzensport eine langfristige Motivation und Planung. Außerdem können neben Talent und dem Quäntchen Glück auch negative Faktoren wie Druck und Wettkampfangst mitunter stark beeinflussen. Dreht es sich nur um die eigene Leistung, spricht man von Leistungszielen. In der Trainingssteuerung sind es bestimmte Parameter, die Aufschluss über die Entwicklung eines Sportlers geben und helfen das Training möglichst passend und fördernd zu gestalten. Schwellenwerte, die mit physiologischer Anpassung einhergehen seien hier als Beispiel genannt. Daneben gibt es in der Theorie noch Handlungs-/Prozessziele. Sie dienen dazu einen bestimmten Prozess zu optimieren. Beispielsweise den Bewegungsablauf der Tretbewegung möglichst effizient zu gestalten, vielfach bekannt als ‚runder Tritt‘. Hier steht eine klare Aufgabe im Fokus, die Konzentration durch einen selbst erfordert und nicht von anderen Sportlern abhängt. Wie Ziele definiert sind, hängt davon ab ob sie nur kompetitiv (Ergebnisziele) oder selbst erreicht werden können (Leistungs- und Prozessziele). Wann sie erreicht werden können, ob kurz- mittel- oder langfristig, hängt mit der Planung zusammen. Ein gut gewählter Mix in der Trainingsplanung zielt immer auf kurz-, mittel und langfristige Ziele. Denn das Erreichen eines Zwischenziels hält die langfristige Motivation aufrecht.
Wie geht man mit der derzeitigen Situation um?
Alle Wettkämpfe und Events sind abgesagt. Das ist hart, klar, aber daraus können ganz andere Möglichkeiten entstehen. Hier den Kopf in den Sand zu stecken ist keine echte Option. Welche Chancen entstehen? In jedem Fall sollte man sich darauf besinnen, warum man mit diesem Sport angefangen hat und warum man so viel Freude dabei verspürt. Retro- und prospektiv denken: Man kann in sich gehen und auf seine persönlichen Erfolge schauen und das, was man bisher erreicht hat. Und man kann seine langfristigen Ziele überprüfen und sich gegebenenfalls neue Meilensteine setzen. Denn man ist sich nicht so weit gekommen, nur um so weit gekommen zu sein.
Möglicherweise haben sich bestimmte Rahmenbedingungen sogar zum Positiven gewendet, man hat man nun mehr oder eine besser einteilbare zeitliche Situation und kann sein Training viel freier planen. Es gibt zwar weniger Freizeitangebote und Reisemöglichkeiten, doch man muss nicht immer weit schweifen, um sich selbst Ziele zu stecken. Die eigene Leistung am Hausberg und auf der Hausrunde zu übertrumpfen oder einfach mal den ganzen Tag im Sattel zu verbringen und an Orte zu fahren, an denen man in seiner Umgebung noch nie war.
Folgt man einem Trainingsplan, so ist dieser in seiner ursprünglichen Form nicht mehr aktuell, da die Saisonhöhepunkte wie Radmarathons und Großveranstaltungen fehlen, aber warum nicht den Plan für die nächste Saison in die Schublade stecken und in diesem gezielt an seinen Schwächen arbeiten. Genauso machen es übrigens Profis, sie sind auf einmal in der Lage, fernab von Renn- und Terminstress, nur an dem zu arbeiten, was für ihre athletische Entwicklung nützlich ist. Eine Freiheit die man im Leben als Profisportler das ein ums andere Mal vermisst.
Motivationstief - Wer kennt es nicht?
Der innere Schweinhund ist zu groß, die eigene Überwindungskraft reicht nicht aus. Man sucht Ausreden oder macht die Wettersituation draußen verantwortlich. Vielleicht ist es auch der Körper, der einem Zeichen sendet, es mal ruhiger angehen zu lassen und Trägheit verströmt. Erst einmal: Das ist völlig normal und begleitet jeden Sportler. Die Gründe für ein Tief können ganz unterschiedlich sein und im eigenen Inneren liegen oder an äußeren Umständen. Wichtig zur Überwindung des Motivationstiefs, ist es, den tatsächlichen Grund ausfindig zu machen und sich selbst zu hinterfragen.
Auswege aus dem Tief
Hat man die Wurzel erkannt, wird auch klar, woran man nun konkret arbeiten sollte. Kommt man selbst nicht weiter, kann man auch sein Umfeld einbeziehen und sich sogar professionelle Hilfe holen. Nicht umsonst arbeiten mehr und mehr Sportler mit Motivationscoaches und Sportpsychologen zusammen. Liegt der Grund im Nichterreichen eigener Ziele, demotiviert das natürlich, nur waren die eigenen Erwartungen hier gegebenenfalls zu hoch oder nicht langfristig genug gedacht. Neue angepasste Ziele und Zwischenziele können helfen neuen Schwung und Motivation hervorzubringen. Leidet man an Lustlosigkeit, sollte man sich vergegenwärtigen, wie gut und erfüllt man sich nach einem Training fühlt, das kann schon Motivation genug sein, sich doch zu überwinden.
Äußere Barrieren wie wenig Zeit oder eine schwierige Organisation blockieren manchmal die Motivation. Doch hier gibt es Lösungen. Einen Kalender führen, sich feste Zeiten freischaufeln und mit Sportpartnern fest verabreden. Oder beim Trainingstreff in der Umgebung mitfahren und testen ob das etwas für einen ist. Nach Alternativen suchen, ist das Wetter draußen schlecht, warum nicht Indoor fahren, technische Geräte und Möglichkeiten gibt es mittlerweile zuhauf. Und Sport geht auch ohne Rad, Joggen und Wandern, aber auch Body-Workouts können neue Reize und Abwechslung bringen.
Fazit
Motivation ist und bleibt ein abstraktes Thema, doch sie begleitet jeden Sportler an jedem Tag und bestimmt und reguliert das Handeln. Motivation kann unglaublich beflügeln, aber einen auch in eine Drucksituation bringen. Daher ist es wichtig, immer mal wieder die Perspektive zu wechseln und die eigenen sportlichen Aktivitäten, Ambitionen und Ziele aus der Distanz zu betrachten und wenn nötig, auch zu ändern. Manchmal, wie in diesen Corona-Zeiten, kann es auch der Verlust sein, der einen ‚den Wert der Dinge‘ lehrt. Wer sich sowohl in Krisen- aber auch in Hochzeiten auf den eigenen Spaß am Radfahren besinnt, der liegt selten daneben und findet darin Motivation für alle weiteren selbstgesteckten Ziele.
Autorin: Tanja Willersinn
Tanja ist Laborleiterin im Radlabor Freiburg und trainingswissenschaftlich auf dem neuesten Stand. Die Athleten der deutschen Rad-Nationalmannschaften sind ihr bis aufs Blut ausgeliefert, wenn sie beim Laktatstufentest deren Ohren piekst. Außerhalb des Radlabors ist Tanja als Triathletin und Mountainbikerin im Schwarzwald unterwegs.