Auf der Suche nach der optimalen Sitzposition und Kraftübertragung spielt die Wahl der Kurbellänge oft eine wichtige Rolle. Doch ist länger wirklich besser? Während längere Kurbeln über Jahre als der Standard galten, zeigen neuere Studien und Erfahrungen aus der Praxis, dass kürzere Kurbeln viele Vorteile mit sich bringen können – sowohl in puncto Effizienz als auch bei der individuellen Anpassung. Wie beeinflusst die Kurbellänge Trittfrequenz, Kraftübertragung und Biomechanik? Und wo liegt das persönliche Optimum?
Physikalischer Überblick
Die Annahme, dass eine längere Kurbel durch den größeren Hebel automatisch mehr Leistung bringt, hält sich hartnäckig. Doch eine rein physikalische Betrachtung zeigt: Das Verhältnis zwischen Trittfrequenz, Kraftübertragung und Kurbellänge ist komplexer.
Kurze Kurbeln ermöglichen durch den kleineren Bewegungsradius bei gleicher Pedalgeschwindigkeit eine höhere Kadenz. Im Gegensatz dazu erzeugen längere Kurbeln durch ihren größeren Hebel zwar ein höheres Drehmoment, bringen aber auch eine niedrigere Kadenz mit sich. Physikalisch bleibt die Leistung – definiert als Produkt von Kraft und Geschwindigkeit – konstant.
Änderungen der Kurbellänge verschieben lediglich das Verhältnis von Drehmoment und Trittfrequenz, ohne die Gesamtleistung direkt zu beeinflussen.
Die entscheidende Frage ist daher nicht physikalischer, sondern biomechanischer Natur: Bevorzugt der Körper einen größeren oder kleineren Bewegungsradius? Das individuelle Optimum hängt von Anatomie, Fahrstil und Einsatzbereich ab.
Eine Frage der Frequenz
Die optimale Trittfrequenz variiert je nach Disziplin und Anforderung. Zu hohe Frequenzen können die neuromuskuläre und physiologische Ermüdung verstärken, während zu niedrige Frequenzen die Muskulatur stark belasten. Für viele Athleten liegt der ideale Durchschnitt im Bereich von 80–90 Umdrehungen pro Minute (rpm), was ein gutes Gleichgewicht zwischen Effizienz und Ermüdung schafft. Somit ist die ideale Kurbellänge nicht nur von der Innenbeinlänge und Tibialänge abhängig, sondern auch vom individuellen Tretmuster.
Je kürzer, desto besser?
Die optimale Kurbellänge liegt laut J.C. Martin & W.W. Spirduso bei 20 % der Innenbeinlänge oder 41 % der Tibiallänge. Der deutsche Durchschnittsmann hat mit einer Körpergröße von 180 cm eine Innenbeinlänge von 86,4 cm. Was laut Annahme eine 172,5 mm lange Kurbel ergibt. Die Tendenz geht somit zur kürzeren Kurbellänge über. Die Verwendung von 170-mm-Kurbeln würde die maximale Leistung sowohl bei Personen mit sehr kurzen als auch sehr langen Beinen nur minimal, um weniger als 0,5 %, reduzieren. Im Gegensatz zu unüblichen, extrem kurzen oder langen Kurbeln, mit denen die Leistung stark abfällt. Das legt nahe, dass standardisierte Labor- oder Fahrradausrüstung die maximale Leistungsfähigkeit der meisten Erwachsenen kaum beeinflusst.
Kurze Kurbel – großer Effekt
Kurze Kurbeln bieten weitere Vorteile: Der Hüftwinkel im oberen Totpunkt der Pedalstellung wird vergrößert. Das führt, gerade bei unbeweglicheren Menschen, zu einer stabileren Position der Hüfte auf dem Sattel und einer Entlastung im unteren Rücken.
Durch den kleineren Bewegungsradius und die Reduzierung der Hüftbeugung, wird eine aerodynamisch optimierte und zugleich komfortablere Sitzposition ermöglicht. Insbesondere im Triathlon oder Zeitfahren, wo eine flache Oberkörperhaltung entscheidend für den Luftwiderstand ist, können kurze Kurbeln den Unterschied machen. Die geringere Hüftbeugung erlaubt es, den Sattel weiter nach vorne zu schieben und höher zu sitzen oder den Lenker tiefer einzustellen, ohne die Bewegungsfreiheit einzuschränken oder die Hüftgelenke übermäßig zu belasten. Dadurch bleibt die Kraftübertragung effizient, und das Risiko von muskulären Verspannungen oder Schmerzen im unteren Rücken wird verringert. Insgesamt fördert die kürzere Kurbellänge nicht nur eine aerodynamisch vorteilhaftere, sondern auch eine ergonomisch optimierte Position, die die Leistung und den Komfort auf langen Distanzen erheblich steigern kann.
Je nach Veränderung der Kurbellänge muss die Sattelhöhe und -position nicht angepasst werden. Bei einer Verkürzung von 2,5 mm muss über eine dynamische Sitzpositionsanalyse entschieden werden, welchen Einfluss dies auf die aktuelle Sitzposition hat.
Fazit: Die richtige Kurbellänge – individuell und anpassbar
Standardkurbeln sind für die meisten Fahrer gut geeignet und führen in der Regel zu keinen Leistungseinbußen. Dennoch sollte die Kurbellänge abhängig vom Einsatzzweck und den individuellen Anforderungen gewählt werden.
Bei Problemen wie Schmerzen im Knie oder in der Hüfte können kürzere Kurbeln eine sinnvolle Alternative darstellen. Eine dynamische Sitzpositionsanalyse hilft, nicht nur die Kurbellänge zu bewerten, sondern auch andere mögliche Ursachen wie Sattelposition oder Fußstellung zu berücksichtigen.
Wenn die Kurbellänge verändert wird, sollte die Sitzposition durch eine professionelle Sitzpositionsanalyse neu angepasst werden, um eine optimale Kraftübertragung und Ergonomie sicherzustellen. So wird gewährleistet, dass Radfahren nicht nur effizient, sondern auch gesund bleibt.
Autorin: Seraphin Satzky
Mit einem Studium in Sport und Technik ausgestattet, tüftelt Seraphin im Radlabor München an allem, was Radherzen höherschlagen lässt. Sie ist unsere Expertin für Training und Ernährung. Anders gesagt: Seraphin weiß genau, wie viele Nudeln du vor einem Rennen essen musst, um bergauf keinen Hungerast zu bekommen. Wenn sie nicht gerade mit einem Bikefitting im Labor beschäftigt ist, sieht man sie selbst auf dem Rennrad – und das nicht zu knapp. Lange Strecken sind für sie kein Problem, sondern genau der Spaß, der ihren Alltag rund macht.